Möchten Sie Erinnerungen an Manfred Welsandt oder Gedanken zu seiner Musik hier mitteilen? Über solche Zuschriften freut sich Thomas Küpper, thomaskuepper(at)gmx.net
Aus der gemeinsamen Schulzeit am Essener Burggymnasium habe ich Manfred Welsandt in guter Erinnerung als jemanden, der sich auf unauffällige Art von der weltanschaulich aufgeladenen Re-education der Nachkriegszeit zurückhielt und frühzeitig aus der Kunst seinen Elan bezog. Kurz vor dem Abitur begegnete ich ihm in einer Gesprächsgruppe, in der der Name Joyce fiel und vom „Ulysses“ die Rede war. Ich horchte auf. Natürlich lasen wir die Odyssee auf Griechisch (ich selbst sehr gern), aber doch nicht auf Irisch. Joyce, Proust oder Musil waren für die meisten von uns damals noch unbekannte Namen. Manfred Welsandt gehörte einer Randgruppe an, in der dies anders war. Immerhin hatten wir einen Kunstlehrer, der sich zu der Maxime bekannte: „Wenn die Bilder nicht zu den Möbeln passen, dann ändert die Möbel.“ Das Wichtigste aber war für Manfred Welsandt die Musik. Er spielte beim Abiturfest ein selbstkomponiertes Stück auf dem Klavier, und soweit ich mich erinnere, liebäugelte er damals auch mit dem Jazz, den unser Klassenlehrer noch mit verächtlicher Miene als ‚Jatz‘ zu titulieren pflegte. Insgesamt waren wir rebellisch genug, nicht alles für bare Münze zu nehmen. Jeder ging am Ende seinen eigenen Weg. Mich selbst hat es in die Philosophie getrieben und Manfred Welsandt dann eben in die Musik. Wenn ich mich recht erinnere, trafen wir uns später einmal zu einem Abendgespräch. Als begeisterter Lehrer beklagte er sich über die Ministerialbehörde, die im Unterricht das Komponieren von Fugen untersagte, da solche musikalischen Gesetze etwas Repressives hätten. Der ideologische Wind war umgeschlagen. Was seine eigenen Kompositionsversuche angeht, so distanzierte er sich entschieden von dem Stockhausen-Kult im Kölner Funkhaus. Manfred Welsandt bleibt mir in Erinnerung als jemand, der zeitig auf eigenen Füßen stand und sich auch künftig an das hielt, was bei Platon und später dann bei Husserl „die Sachen selbst“ heißt. Dazu gehört der Stachel des Unerhörten, des Unsichtbaren, des Fremden.
Bernhard Waldenfels
Als Musikstudent im Fach Schulmusik lernte ich Manfred Welsandt 1956 an der
Kölner Hochschule für Musik kennen. Beide waren wir im gleichen Semester und beide
auch in einer kleinen Gruppe im Fach Komposition bei Professor Hermann Schroeder.
In diesem Fach war Manfred mir weit überlegen: er besaß schon fundierte Kenntnisse,
da er bereits vor diesem Studium die „Tonmeisterprüfung“ abgelegt hatte. In der
Hochschule wurde er schnell bekannt dadurch, dass er sich auf dem Klavier als
exzellenter Jazzmusiker erwies und hervorragend improvisieren konnte.
Einen Beweis für diese Fähigkeit besitze ich noch in Form einer Videoaufnahme von
meinem 60. Geburtstag: Dort begleitete er meinen ihm völlig unbekannten jungen
Kollegen, der sich als guter Jazztrompeter hervortat, meisterhaft auf dem Klavier,
ohne mit ihm jemals vorher geprobt zu haben.
Werner Müller
1967/68, als ich Schüler am Staatlichen Gymnasium Oberhausen war, gingen
meine Neigungen in Richtung Kunst; von Musik verstand ich theoretisch wie praktisch
(leider) nichts. Also gehörte M. Welsandt nicht wirklich zu den Lehrern, mit denen
ich fachsimpeln konnte wie manche meiner Mitschüler. Ich konnte keine einzige Note
entziffern oder sonst etwas mit Vorzeichen anfangen. Nun wurden aber in den musischen
Fächern Leistungen gefordert, messbar und mit Zensuren zu versehen. Eine dieser
schriftlichen Leistungen waren kleine Kompositionsaufgaben, bei denen M. Welsandt
ein kurzes Thema vorgab und wir daraus ein kleines Stück zu erarbeiten hatten.
Mein einziger Zugang zu dieser Materie waren die mir wohlvertrauten Handschriften
großer Meister, die für mich graphische Leistungen waren. Also bemühte ich mich redlich,
auf dem ausgeteilten Notenpapier ansehnliche kleine Kunstwerke zu hinterlassen;
ich wollte keine leeren Blätter abgeben – wenn schon „6“, dann aber
„mit Schmackes“.
Eine Woche später betrat M. Welsandt wieder seinen heißgeliebten Musiksaal, wohl der
aufwändigste Fachraum der ganzen neugebauten Schule. Kurz vor Erreichen seines Flügels
sackte er zusammen, „stürzte“ mit beiden Armen auf die Tasten –
kakophonisches Inferno – und verharrte kurz so, die entsetzten Blicke der ganzen
Oberprima auf sich gerichtet wissend. Nach lähmendem Schrecken richtete er sich dann
aber auf, hielt mir meine Kompositionsarbeit entgegen und merkte trocken an:
„Ich bin nicht gestürzt, ich habe nur versucht, Ihre Komposition zu spielen.“
Kein weiteres Wort dazu mehr – ich bekam andere, auch für mich lösbare Aufgaben,
wir hatten noch gemeinsame Proben und Aufführungen unseres Schul-Musicals, in dem
ich eine der Hauptrollen gab, und sind in Frieden auseinandergegangen.
Im Nachhinein möchte ich noch eine Anmerkung machen: Diese besondere Form der Rückmeldung
– ein kleines Drama – zeigt in besonderer Weise Respekt vor anderen
(Menschen/Begabungen/Meinungen...). Davon habe ich in meinem späteren Leben als
Kunstlehrer oft gezehrt!
Ulrich Ottlinger